Jan 24, 2024

Wohlstand für Alle: Feedback zu oberflächlicher Postwachstumskritik


In einer privaten Diskussion wurde mir der Podcast "Wohlstand für Alle" empfohlen. Ich habe vor einigen Jahren diesen Podcast mit wohlwollendem Interesse konsumiert. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Postwachstum gelingt dem Podcast allerdings aus meiner Sicht nicht gut. Hier meine als E-Mail versendete Kritik (01.09.2021). Ich veröffentliche den Text um in privaten Diskussionen möglichst einfach darauf Bezug nehmen zu können.


Sehr geehrter Herr Nymoen, sehr geehrter Herr Schmitt

in den Episoden 103 und 105 ihres Podcasts [1] haben Sie sich mit dem Thema Postwachstum befasst. Dabei haben Sie viele wichtige Punkte angesprochen. Allerdings erscheint mir Ihre Kritik doch reichlich verkürzt [2].

Wenn ich Paech richtig verstanden habe, ist seine zentrale These: Dauerhaftes exponentielles Wachstum innerhalb der planetaren Schranken ist nicht möglich. Folglich wird eine Postwachstumsgesellschaft so oder so kommen ("by design or by disaster").

Deshalb macht er sich Gedanken, wie eine solche Gesellschaft aussehen könnte. Die Vorschläge zu denen er damit kommt, wirken gemessen an unseren heutigen "kulturell induzierten Ansprüchen an materielle Selbstverwirklichung" hart. Das bestreitet Paech auch nicht ("Eine Postwachstumsgesellschaft ist keine Bequemokratie").

Das Drohpotenzial dieses "Design-Szenarios" relativiert sich allerdings, wenn man es mit dem "Disaster-Szenario" vergleicht: dem Kapitalismus-induzierten Zusammenbruch der Zivilisation.

Man muss Paech und der PW-Bewegung zu Gute halten, dass Sie zumindest versuchen, konstruktiv Zukunftsszenarien zu entwerfen, die physikalisch kompatibel mit den planetaren Grenzen sind (von denen das Klima bekanntermaßen nur eine darstellt). Ihre Kritik dagegen scheint in weiten Teilen schlicht weg von (eignen und postulierten) Akzeptanzproblemen getrieben.

Das könnte ich akzeptieren, wenn Sie einen überzeugenden Gegenentwurf liefern würden. Stattdessen bleibt Ihre Kritik rein destruktiv ("das kann niemand wollen"). Allenfalls ziehen Sie sich auf das Hoffen auf Technologie und Entkopplung zurück.

Kann man machen, aber dann ist man auf dem Überzeugungskraft-Niveau von "Digitalisierung first, Bedenken Second" angekommen.

Aus meiner Sicht, sind Sie mit diesen beiden Episoden dem Postwachstumsansatz inhaltlich nicht auf dem von Ihnen angestrebten Niveau gerecht geworden. Ich möchte deshalb anregen, dass Sie einer Vertreter:in dieser Perspektive explizit eine Stimme geben, zum Beispiel in einem Interview oder konstruktiven Streitgespräch. Ich hoffe, dass dann einige Verzerrungen und Verkürzungen geradegerückt werden könnten und die validen Punkte beider Positionen um so klarer hervortreten.

Aus meiner Sicht ist es eine bedauernswerte Tradition, dass zwischen den verschieden Lagern des "menschenfreundlichen Teils der Gesellschaft" eine recht aggressive Rhetorik herrscht. Leider scheinen auch Sie sich bisher nicht von dieser Tradition zu emanzipieren. Angesichts der gewaltigen gesellschaftlichen Herausforderungen halte ich es für sowohl für moralisch als auch für utilitaristisch geboten, persönliche Befindlichkeiten gegenüber ernsthaftem Bemühen um objektive Problemlösung herabzupriorisieren.

Beste Grüße, Carsten Knoll

[1] https://wohlstandfueralle.podigee.io/105-niko-paech

[2] Hierzu nur ein Beispiel: Am Schluss von 105 (bei 00:41:10h) nehmen Sie den bisherigen Rückgang von 1.2 Gt auf 812 Mt als Beleg dafür dass eine Entkopplung zwischen CO2-Ausstoß möglich ist, verschweigen aber (im Gegensatz zu Paech), dass in diesem Zeitraum ein großer Teil der schmutzigen Industrieproduktion ins Ausland abgewandert ist und deshalb aus unserer Bilanz rausfällt. Das spricht aber nicht für die Sauberkeit unserer gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungskette.


Eine Antwort habe ich bisher leider nicht erhalten.



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